Der Betriebsrat Als Produktionsfaktor - DGFP

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Der Betriebsrat als ProduktionsfaktorPerspektiven der Zusammenarbeit von Arbeitgeber und BetriebsratVon Horst-Udo NiedenhoffDie rechtliche Stellung, die Erweiterung des Aufgabenbereichs vom Überwacher zumMitgestalter (z.B. betriebliche Bündnisse für Arbeit) , die Verquickung vonArbeitnehmerinteressen und Unternehmensbelangen (z.B. Betriebsratsmitglieder in denAufsichtsräten), die Kosten der Anwendung des Betriebsverfassungsgesetzes etc. machenden Betriebsrat in den Unternehmen Deutschlands zu einem Produktionsfaktor. Er ist in derLage sowohl unternehmerisch Entscheidungen zunichte zu machen oder sie hinauszuzögernals auch zur Prosperität einer Firma beizutragen. Von einer fairen, kooperativen undqualifizierten Zusammenarbeit der Betriebspartner Arbeitgeber und Betriebsrat hängt derwirtschaftliche Erfolg eines Unternehmens in hohem Maße ab. Die Perspektiven derbetrieblichen Mitbestimmung sind daher Kernelemente der Wettbewerbsfähigkeit derUnternehmen in Deutschland. Die Mitbestimmung ist Chefsache geworden.Inhalt:Mitbestimmung in DeutschlandBetriebs-und SozialpartnerschaftBetriebsratswahlen im Wandel der GesetzgebungDie gesetzliche Erweiterung der Mitwirkung und Mitbestimmung desBetriebsratsEntwicklung der Gewerkschaften als Teil der SozialpartnerschaftAuswirkungen der veränderten Sozialpartnerschaft auf die BetriebspartnerDie Entwicklung des Betriebsrats vom Überwacher zum Mitgestalter desArbeitslebensDie Verquickung von Arbeitnehmerinteressen und UnternehmensbelangenDie Kosten der Anwendung des BetriebsverfassungsgesetzesDie Stellung des Betriebsrats im Bewusstsein der Arbeitnehmer und desManagementsGrundsätze der Zusammenarbeit von Arbeitgeber und Betriebsrat11

Betriebsratsbestechung-oder sollen Betriebsräte wie Manager bezahlt werden?Konfliktlösung: Betriebliche PräventivmaßnahmenInstrumente zur Beilegung von Konflikten unter Hinzuziehung DritterZusammenfassung: Ansatzpunkte einer partnerschaftlichen Zusammenarbeitvon Arbeitgeber und BetriebsratAbbildungenLiteraturCheckliste: Thesen zur Zusammenarbeit von Betriebsrat und ManagementCheckliste: Zusammenarbeit von Betriebsrat und BetriebsleitungCheckliste: Verhandlungen mit dem BetriebsratCheckliste: Schwellenwerte der MitbestimmungMitbestimmung in DeutschlandDeutschland ist im internationalen Vergleich das Land mit den meistenMitbestimmungsgesetzen. Nirgendwo sonst sind die Mitwirkungs-undMitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer, der Betriebsräte und der Gewerkschaften soweitgehend geregelt wie hier: In allen Betrieben mit mindestens fünf ständig Beschäftigtenkönnen Betriebsräte gewählt werden. Besteht das Unternehmen aus mehrerenBetriebsratseinheiten, wird der Gesamtbetriebsrat gewählt und im Konzernverhältnis kannein Konzernbetriebsrat bestellt werden. Ist das Unternehmen europaweit tätig, könneneuropäische Betriebsräte gewählt werden. In einigen Firmen ist auf freiwilliger Basis schonein Weltbetriebsrat gebildet worden.Nach dem Betriebsverfassungsgesetz kann eine Jugend-und Auszubildendenvertretung vomBetriebsrat initiiert werden. Vergleichsweise zum Betriebsrat wird eine Gesamt-Jugend-undAuszubildenden-und Konzern-Jugend-und Auszubildendenvertretung bestellt.Die leitenden Angestellten wählen e, Gesamt-und Konzernsprecherausschüsse.Ist das Unternehmen eine Kapitalgesellschaft mit mehr als 500 Arbeitnehmern, wird nachdem Drittelbeteiligungsgesetz der Aufsichtsrat zu einem Drittel aus Arbeitnehmervertreternbestellt .Hat das Unternehmen mehr als 2.000 Beschäftigte, sieht dasMitbestimmungsgesetz der Arbeitnehmer die paritätische Besetzung des Aufsichtsrats vor.Wird Kohle gefördert oder Stahl hergestellt, sieht das Montan-Mitbestimmungsgesetz ( ab1.000 Arbeitnehmern) neben der paritätischen Besetzung des Aufsichtsrats auch dengewerkschaftlich abhängigen Arbeitsdirektor im Vorstand vor.22

Für die Beschäftigten im Öffentlichen Dienst gilt das Personalvertretungsgesetz.Mitbestimmung in DeutschlandInternationale MitbestimmungGesetz über EuropäischeBetriebsräteEuropäischer atDrittelbeteiligungsgesetzBetriebliche riebs-und SozialpartnerschaftDie Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer und der Gewerkschaften sindin Deutschland gesetzlich geregelt (Abb.1).Jeder Arbeitnehmer kann demnach feststellen,welche individuellen Rechte er hat und welche Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechtesein Betriebsrat und die anderen Mitbestimmungsorgane in seinem Unternehmen ausüben.Seine individuellen Rechte sind sowohl in Gesetzen (z.B. Betriebsverfassungsgesetz,Kündigungsschutzgesetz etc.)als auch in seinem Arbeitsvertrag fixiert. Alles, was Betriebsratoder Gesamtbetriebsrat kollektiv für ihn im Unternehmen regeln, kann in einerBetriebsvereinbarung oder in einer Gesamtbetriebsvereinbarung nachgelesen werden.Artikel 9 des Grundgesetzes räumt in Deutschland jedem das Recht ein, Vereine undGesellschaften (Vereinigungen, Interessengruppen, Verbände usw.)zu bilden. Diese sindfreie Zusammenschlüsse von Interessenten innerhalb demokratischer Staaten,die Einflussauf das politische Geschehen nehmen,ohne jedoch selbst Regierungsverantwortung zutragen.Innerhalb dieser Interessengruppen bezeichnet man die Vereinigungen der Arbeitnehmer(Gewerkschaften) und die Vereinigungen der Arbeitgeber (Arbeitgeberverbände) alsSozialpartner oder Tarifvertragsparteien. Wesensmerkmal ihrer Arbeitsweise ist dabei,dassder Ausgleich der Interessensgegensätze zwischen Kapital und Arbeit nicht vom Staatwahrgenommen wird,sondern den Sozialpartnern überlassen bleibt (Tarifautonomie)Das Grundgesetz schützt nicht nur das Recht des Einzelnen,sich mit anderen zu einerVereinigung zusammenzuschließen oder einer bestimmten Vereinigung beizutreten,sonderngarantiert auch den Schutz solcher Koalitionen,die sich zur Wahrung und Förderunggemeinsamer Interessen zusammengeschlossen haben. So sind beispielsweiseArbeitnehmervereinigungen (Gewerkschaften) in ihrer Exsistenz,ihrer organisatorischen33

Autonomie und ihrer vereinsmäßigen Betätigung dem Staat,Dritten und den Mitgliedernggenöber geschützt.Das Ergebnis der Verhandlungen der Tarifvertragsparteien ist der Tarifvertrag.Danebenkann allerdings auch jeder nicht verbandlich organisierte Arbeitgeber Vertragspartner einerGewerkschaft sein.Das Eregebnis dieser Verhandlungen ist dann der Firmen-oderHaustarifvertrag.Der Tarifvertrag „regelt die Rechte und Pflichten der Tarifvertragsparteien und enthältRechtsnormen,die den Inhalt,den Abschluss und die Beendigung von Arbeitsverhältnissensowie betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen regeln können“ (§1 TVG).Er giltfür die Arbeitnehmer, die den tarifschließenden Gewertschaften angehören und bei einemArbeitgeber beschäftigt sind,der selbst Mitglied des tarifschließenden Arbeitgeberverbandsist.Den Tarifvertragsparteien sind Pflichten auerlegt.Unter der Durchführungs-undEinwirkungspflicht versteht man das Gebot der Erfüllung des Tarifvertrags und dieEinwirkung der Tarifvertragsparteien auf ihre Mitglieder ,den Tarifvertrag zu erfüllen.Unterder absoluten Friedenspflicht versteht man das Verbot von Arbeitskampfmaßnahmenwährend der Laufzeit des Tarifvertrags.Demgegenüber ist die relative Friedenspflicht einefreiwillige vertragliche Erweiterung,zum Beispiel bie zum Abschluss einesSchlichtungsverfahrens.Betriebsratswahlen im Wandel der GesetzgebungDie Zusammensetzung der Betriebsräte ist ein entscheidender Faktor für dieWettbewerbsfähigkeit der Betriebe. Die Betriebsratswahlen rücken folglich immer stärker inden Mittelpunkt des unternehmerischen Interesses und des Interesses der Arbeitnehmer. Siesind langfristig betrachtet von fünf politischen Ereignissen geprägt:- der Verabschiedung des Betriebsverfassungsgesetzes im Jahre 1952,- der ersten Novellierung im Jahre 1972,- der Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes im Jahre 1988,- der Wiedervereinigung Deutschlands im Jahre 1990, sowie- der zweiten Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes im Jahre 2001.Daraus ergeben sich vier Zeiträume, in den Betriebsratswahlen stattgefunden haben. Imersten Zeitraum von 1952 – 1972 fanden unregelmäßige Wahlen statt. Die Amtszeit derBetriebsräte lag bei zwei Jahren. Eine genaue Statistik kann für diese Zeit nicht erstelltwerden, da damals im gleichen Jahr zu unterschiedlichen Zeiten in den unterschiedlichenFirmen „anonyme Wahlen“ stattfanden.Der zweite Zeitraum von 1972 – 1988 war geprägt von einheitlichen Wahlterminen, undzwar jeweils vom 01. März bis zum 31. Mai. Die Wahlen fanden nun alle drei Jahre statt undfolglich charakterisieren sechs Wahltermine diese Zeitspanne.44

Der dritte Zeitraum von 1988 – 2001 wiederum wurde durch eine vierjährige Amtszeit desBetriebsrats, die Wiedervereinigung Deutschlands und Strukturumbrüche mit hoherArbeitslosigkeit gekennzeichnet.Der vierte Zeitraum begann mit der zweiten Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzesim Jahre 2001 und seiner erheblichen Änderung. Inzwischen wurden zwei Wahlen (2002 und2006) durchgeführt.Im Jahre 1946 beschloss der alliierte Kontrollrat das „Gesetz über die Bildung vonBetriebsräten“. „Gestattet“ wurde die Errichtung von jährlich zu wählenden Betriebsräten„zur Wahrung der beruflichen, wirtschaftlichen und sozialen Interessen der Arbeiter undAngestellten“ der einzelnen Betriebe. Dieses Kontrollratgesetz Nr. 22 legte lediglichRahmenbedingungen fest, so dass es in den Betrieben sowohl gesetzliche als auch freivereinbarte Regelungen gab. Diesen Zeitraum kann man als Vorstufe einer modernenBetriebsverfassung in Deutschland bezeichnen.Im Jahre 1952 wurde die vom „alliierten Kontrollrat“ erlassene betriebliche Mitbestimmungdurch ein deutsches Gesetzt abgelöst. Das Betriebsverfassungsgesetz von 1952 galt füralle Betriebe der privaten Wirtschaft mit mindestens fünf ständig beschäftigtenArbeitnehmern, von denen drei wählbar sind. Die Amtszeit der Betriebsräte wurde auf zweiJahre festgelegt.Wie schon im Betriebsrätegesetzt von 1920 ist nach dem Betriebsverfassungsgesetz von1952 der Betriebsrat eine gewerkschaftsunabhängige Vertretung der gesamtenBelegschaft. Er wird alle zwei Jahre von allen Arbeitnehmern in einer freien und geheimenWahl gewählt und hat die Aufgabe, alle Arbeitnehmer ungeachtet ihrer politischen odergewerkschaftlichen Zugehörigkeit gegenüber dem Arbeitgeber zu vertreten. Zum Schutzeinzelner Gruppen, wie z.B. der Gruppe der Angestellten, die damals in der Regel eineMinderheit in den Betrieben darstellten, sah das Gesetz die getrennte Wahl von Arbeiternund Angestellten und gesonderte Angestelltenmandate im Betriebsrat vor.Durch das im Jahre 1972 novellierte Betriebsverfassungsgesetz wurde die Amtsperiodeder Betriebsräte auf drei Jahre verlängert. Herausragendes Merkmal dieser Novellierung warnun der einheitliche Zeitpunkt der Betriebsratswahlen vom 01. März bis zum 31. Mai.Somit rückten die Betriebsratswahlen stärker in das öffentliche Interesse, da diesereinheitliche Wahltermin nun auch einen öffentlichen Charakter wie beispielsweise diepolitischen Wahlen (Landtagswahlen oder Bundestagswahlen) hatte. Zuvor fandenBetriebsratswahlen mehr oder weniger anonym statt und von ihren Ergebnissen drang in derRegel kaum etwas an die breite Öffentlichkeit.Umso intensiver waren nun die Wahlkämpfe, die sich die Kandidaten der unterschiedlichenGruppen lieferten. Gerade die Gewerkschaften, die nach dem 1952er Gesetz in denBetriebsräten teilweise Konkurrenten sahen – der DGB hatte 1949 in seinemMitbestimmungskonzept eine einheitliche Interessensvertretungsinstanz gefordert, welchedie Betriebsräte lediglich als Organ der Gewerkschaften vorsah - , versuchten nun Boden zugewinnen, indem sie über einen hohen Organisationsgrad der Betriebsräte wiederEinfluss in den Betrieben gewinnen wollten. So wies der Deutsche Gewerkschaftsbundwährend der Betriebsratswahlen 1972 und 1975 erneut auf die „Gegnerschaft“ und nicht, wiees § 2 des Betriebsverfassungsgesetzes regeln möchte, auf die „vertrauensvolle55

Zusammenarbeit“ zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern hin. Ebenfalls sagte der DGBden nicht organisierten Kandidaten den Kampf an. „Unorganisierte sind für eineBetriebsratstätigkeit ebenso ungeeignet wie Kandidaten von Splittergruppen“. Aber auchandere Nicht-DGB-Gewerkschaften wurden zu Gegnern erklärt, wie z.B. der ChristlicheGewerkschaftsbund (CGB): „Eine gemeinsame Liste mit gegnerischen Organisationen, wiez.B. dem Christlichen Metallarbeiter-Verband (CMV) ist unzulässig“. Die DeutscheAngestellten-Gewerkschaft (DAG) und der Christliche Gewerkschaftsbund kritisierten imGegenzug „den Monopolanspruch des Deutschen Gewerkschaftsbundes“ (Niedenhoff, 1976,14ff.).Diese erste Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes – nach 20 Jahren betrieblicherMitbestimmung nach dem Zweiten Weltkrieg – verstärkte die Kontinuität und dieProfessionalisierung der Arbeit der Betriebsräte. Neben der Verlängerung der Amtszeitwurden zugleich auch die Arbeitsgrundlagen der Betriebsräte deutlich verstärkt, indem es inGroßbetrieben mit mehr als 1.000 Arbeitnehmern zu einer Erhöhung der Mandatszahlenkam. Damit stieg zwangsläufig die Zahl der Betriebsratsmitglieder. Hinzu kam eine generelleFreistellung mindestens eines Betriebsratsmitglieds in Betrieben ab 300 Arbeitnehmern. DieBildung eines geschäftsführenden Betriebsausschusses und weiterer Fachausschüssezur laufenden Arbeit von Betriebsräten wurde ebenfalls ab 300 Beschäftigten festgelegt. Mitdiesen Regelungen wurde das Amt des Betriebsrats in eine große Nähe zum Managementgerückt und so für die Kandidaten attraktiver gestaltet. Der Einfluss von Betriebsräten aufdie Willensbildung im Betrieb und Unternehmen stieg.Die Bewältigung der Betriebsratsarbeit wurde durch verbesserte Schulungsangeboteerleichtert. So sah der Gesetzgeber für Betriebsratsmitglieder nun einen ausdrücklichenAnspruch auf Schulungs- und Bildungsveranstaltungen vor. Die dadurch anfallenden Kostentrug der Arbeitgeber gemäß § 37, Abs.6 BetrVG. Dies führte ebenfalls zu einer stärkenProfessionalisierung der Betriebsratsarbeit. Ganz neu war, dass der Gesetzgeber zumersten Mal Gastarbeitern aus Nicht-EU-Ländern die Wahlberechtigung, sowie dieWählbarkeit gab – und das steigerte die Attraktivität der Betriebsratsarbeit auch fürausländische Arbeitnehmer.Diese Neuerung hatte daher Konsequenzen, was den Wahlkampf, dessen Dauer und dieIntensität betrafen. Sowohl Gewerkschaften als auch politisch motivierte Gruppen undgewerkschaftlich nichtorganisierte Kandidaten konnten nun ihr Wahlkampfmaterial (z.B.Flugblätter, Plakate usw.) konzentrierter einsetzen, als dies bei früheren Wahlen der Fallwar. Aufgrund des verstärkten öffentlichen Interesses begann der Wahlkampf früher alsbisher. Meist stellten sich die Gruppen schon im späten Herbst des Jahres vor den Wahlenauf, um Werbung für die eigenen Kandidaten zu machen. Eine weitere Konsequenz deseinheitlichen Wahltermins ist die damit verbundene Analysearbeit bezüglich derBetriebsratswahlergebnisse. Seit diesem Zeitpunkt kann besser und viel systematischerfestgestellt werden, wie sich die Wahlergebnisse der einzelnen Wahlen und damit dieZusammensetzung der Betriebsräte von Wahl zu Wahl entwickelt haben.1988 änderte der Gesetzgeber einige Paragraphen des Betriebsverfassungsgesetzes. Sowurde z.B. die Dauer der Amtsperiode von drei auf vier Jahre angehoben, was denTrend zum „Berufsbetriebsrat“ verstärkte. Eine weitere Änderung war die Verstärkungdes Minderheitenschutzes in den Betrieben. So wurde die Unterschriftenzahl (Quorum)für Wahlvorschläge verringert und die Stellung der Gewerkschaften gestärkt, indem nun66

die Unterzeichnung von zwei – auch Betriebsfremden – Gewerkschaftsbeauftragten genügte,um eine gültige Betriebsratswahlliste einzureichen. Zum ersten Mal konnte jede im Betriebvertretene Gewerkschaft zusätzlich ein betriebsangehöriges Mitglied ohne Stimmrecht in denWahlvorstand entsenden, sofern nicht schon ein stimmberechtigtes Mitglied derGewerkschaft dem Wahlvorstand angehörte. Viele Kenner der Betriebsverfassung stelltensich damals die Fragen:- Wird durch die erneute Anhebung der Amtsdauer nun der Trend zumBerufsbetriebsrat weiter gefördert?- Wird der Wahl der Betriebsräte durch die veränderte Amtszeit noch größereBedeutung beigemessen?- Wird dadurch die Wahlbeteiligung steigen?- Wird sich die Zusammensetzung der Betriebsräte nun stark verändern?Der dritte Zeitraum der Betriebsratswahlen von 1988 – 2001 war von einer hohenArbeitslosigkeit gekennzeichnet. Hatten die Betriebsräte in der Zeit der Hochkonjunktursehr viel mehr Möglichkeiten, übertarifliche Leistungen zu erwirken – z.B. durchKopplungsgeschäfte – und damit zusätzliche finanzielle Verbesserungen für dieBelegschaften auszuhandeln, indem sie den relativ großen Verteilungsspielraum ausnutzenkonnten, wurden sie ab Anfang der achtziger Jahre mit einem Konjunkturabschwungkonfrontiert. Umstrukturierungen, Betriebsstilllegungen und betriebsbedingte Kündigungenverkleinerten den Aktionsraum und Konjunktureinbrüche sowie eine hohe Arbeitslosigkeitveränderte das Agieren der Betriebsräte erheblich. Sie mussten sich dieser neuenHerausforderung stellen, die betriebliche Realität akzeptieren und Gestaltungskraft inden Unternehmen werden. Begriffe wie „Betriebsrat als Produktionsfaktor“, „Betriebsräte alsCo-Manager“, „Betriebliche Bündnisse für Arbeit“ beschrieben diese neue Situation.Am 04. Mai 1976 trat das Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer(Mitbestimmungsgesetz) in Kraft. Es sieht die paritätische Besetzung der Aufsichtsräte(6:6; 8:8; 10:10) vor und erfasst Unternehmen, die in der Rechtsform einerAktiengesellschaft, einer Kommanditgesellschaft auf Aktien, eine Gesellschaft mitbeschränkter Haftung oder einer Genossenschaft betrieben werden und in der Regel mehrals 2.000 Arbeitnehmer beschäftigen (§ 1 Abs.1 MitbestimmungsG).Dieses Gesetz führte nicht nur zu mehr Mitbestimmung der Arbeitnehmer, sondern war auchfür die Betriebsräte eine Erweiterung ihres Einflussbereichs: Eine noch größere Zahl vonBetriebsratsmitgliedern ist nun Aufsichtsratsmitglied, da in der Regel die meistenArbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat auch gleichzeitig Betriebsratsmitglieder sind. Dadurchkommt es zu einer Verquickung von Arbeitnehmerinteressen undUnternehmensbelangen (Mitbestimmung Modernisieren, 2004,21).Nach langen und heftig geführten Diskussionen auf europäischer Ebene verabschiedete derMinisterrat der Europäischen Union am 22. September 1994 eine Richtlinie über dieEinsetzung eines Europäischen Betriebsrats oder die Schaffung eines alternativenVerfahrens zur Information und Konsultation der Arbeitnehmer. Diese Richtlinie wurde am28. Oktober 1996 in nationales Recht – das Gesetz über Europäische Betriebsräte(EBRG) – umgesetzt. Es gilt für Unternehmen, die gemeinschaftsweit tätig sind, mindestens1.000 Arbeitnehmer in den Mitgliedstaaten und davon jeweils mindestens 150 Arbeitnehmerin mindestens zwei Mitgliedstaaten beschäftigen. In der Regel sind bei diesenKonstruktionen Betriebsräte aus Deutschland auch gleichzeitig EuropäischeBetriebsräte. Der Gesamt- oder Konzernbetriebsratsvorsitzende ist dann oft der sogenannte77

Präsident des „Europa-Forums“, Betriebsrats (Niedenhoff, 1997,367). Auch in diesemZusammenhang steigt der Einfluss der Betriebsräte und macht das „Amt“ des Betriebsratsattraktiv und damit für viele Arbeitnehmer erstrebenswert.1990, das Jahr der Wiedervereinigung Deutschlands, war für die Betriebsratswahl eineweitere Zäsur: Wie werden Arbeitnehmer aus den neuen Bundesländern dasBetriebsverfassungsgesetzt sehen? Werden sich neue Gruppen oder neue Kandidaten zurWahl stellen? Wird sich die Zusammensetzung der Betriebsräte nun völlig ändern? Sind diekünftigen Wahlen mit den Betriebsratswahlen in den alten Bundesländern vergleichbar?In ganz Deutschland wurden nun neue und mehr Betriebsräte gewä

Die Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer und der Gewerkschaften sind in Deutschland gesetzlich geregelt (Abb.1).Jeder Arbeitnehmer kann demnach feststellen, welche individuellen Rechte er hat und welche Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte sein Betriebsrat und die an

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