ELISALEONZIO Geisterlehreund Gespenstergeschichte

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https://doi.org/10.25620/ci-03 07ELISA LEONZIOGeisterlehre undGespenstergeschichteLiterarischer und philosophischer Diskurs in derdeutschen Spätaufklärung bei Christoph Martin Wielandund Jean PaulZITIERVORGABE:Elisa Leonzio, »Geisterlehre und Gespenstergeschichte: Literarischer und philosophischer Diskurs in der deutschen Spätaufklärungbei Christoph Martin Wieland und Jean Paul«, in Phantasmata: Techniken des Unheimlichen, hg. v. Martin Doll, Rupert Gaderer, FabioCamilletti und Jan Niklas Howe, Cultural Inquiry, 3 (Wien: Turia Kant, 2011), S. 115–27 https://doi.org/10.25620/ci-03 07 Phantasmata: Techniken des Unheimlichen, hg.v. Martin Doll, Rupert Gaderer, Fabio Camilletti und Jan Niklas Howe, Cultural Inquiry, 3(Wien: Turia Kant, 2011), S. 115–27ANGABE ZU DEN RECHTEN: by the author(s)This version is licensed under a Creative Commons AttributionShareAlike 4.0 International License.Zu den meistdiskutierten Themen der populären Aufklärungzählen »Geister« und »Gespenster«. Sie interessieren nicht nur dasungelehrte Volk, sondern auch die Gelehrten, die sich immer kritischerdamit beschäftigen. Je entschlossener die Rationalisierungsversuche solcher Phänomene werden, desto mehr verbreiten sich paradoxerweise dieGeisterseherei und die Faszination für das Übernatürliche.ABSTRACT:The ICI Berlin Repository is a multi-disciplinary open access archive for the dissemination of scientific research documents related to the ICI Berlin, whether theyare originally published by ICI Berlin or elsewhere. Unless noted otherwise, the documents are made available under a Creative Commons Attribution-ShareAlike4.o International License, which means that you are free to share and adapt the material, provided you give appropriate credit, indicate any changes, and distributeunder the same license. See http://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/ for further details. In particular, you should indicate all the information contained inthe cite-as section above.

(&*45&3-&)3& 6/% (&41&/45&3(&4 )* )5&-JUFSBSJTDIFS VOE QIJMPTPQIJTDIFS %JTLVST JO EFS EFVUTDIFO 4QjUBVGLMjSVOH CFJ ISJTUPQI .BSUJO 8JFMBOE VOE FBO 1BVM&MJTB -FPO[JPZu den meistdiskutierten Themen der populären Aufklärung zählen»Geister« und »Gespenster«. Sie interessieren nicht nur das ungelehrteVolk, sondern auch die Gelehrten, die sich immer kritischer damitbeschäftigen. Je entschlossener die Rationalisierungsversuche solcherPhänomene werden, desto mehr verbreiten sich paradoxerweise dieGeisterseherei und die Faszination für das Übernatürliche.1 Einerseitsentspricht diese Tendenz dem tradierten Aberglauben, andererseits demBedürfnis nach einer spirituellen Dimension – ein Bekenntnis zum Irrationalismus, das den säkularisierenden Aufklärern nicht fremd bleibt.2Ein Pendant zu diesem indirekt proportionalen Verhältnis zwischenKritik und Faszination bzw. Bedürfnis erkennt man im poetologischenund literarischen Diskurs des späten 18. Jahrhunderts. Zwar lehntdie Spätaufklärung den für den trivialen Geheimnisroman typischenGebrauch des Wunderbaren ab,3 zu dem auch der Rekurs auf Geistererscheinungen zählt, dennoch werden immer häufiger Geistererzählungen in die Romane integriert. Das geschieht einerseits in kritischerund selbstparodistischer Absicht, anderseits mit dem mehr oder wenigerexplizit dargestellten Ziel, die poetische Unzulänglichkeit einer entzauberten und wissenschaftlich beschriebenen Wirklichkeit zu demonstrie123Vgl. Klaus H. Kiefer, »Die famose Hexen-Epoche«. Sichtbares und Unsichtbaresin der Aufklärung (München: Oldenbourg, 2004).Vgl. Diethard Sawicki, »Die Gespenster und ihr Ancien Régime. Geisterglaubenals ›Nachtseite‹ der Spätaufklärung«, in Aufklärung und Esoterik, hg. v. MonikaNeugebauer-Wölk (Hamburg: Meiner, 1999), S. 364-96 und Anne Conrad,»›Umschwebende Geister‹ und aufgeklärter Alltag. Esoterik als Religiosität derSpätaufklärung«, in Aufklärung und Esoterik, hg. v. Monika Neugebauer-Wölk(Hamburg: Meiner, 1999), S. 397-415.Vgl. Jürgen Viering, Schwärmerische Erwartung bei Wieland im trivialenGeheimnisroman und bei Jean Paul (Köln: Böhlau, 1976).GEISTERLEHRE UND GESPENSTERGESCHICHTE115

ren. Als Hauptmomente jener Geister- und Gespensterdebatten werden im Folgenden Teile des literarischen und theoretischen Werks vonChristoph Martin Wieland und Jean Paul betrachtet, die die Spätaufklärungsepoche eröffnen bzw. in die Frühromantik einführen. ( & * 4 5 & 3 - & ) 3 & # & * 8 * & - " / % ( & 4 ) * ) 5 & % & 4 " ( " 5 ) 0 / 6 / % f # & 3 % & / ) " / ( % & 3 . & / 4 ) & / " / . " ( * & 6 / % ( & * 4 5 & 3 & 3 4 ) & * / 6 / ( & / ; 6 ( - " 6 # & / § Laut Grimms Wörterbuch wurde der Begriff »Geisterseher« zum erstenMal in Wielands Musarion von 1768 benutzt.4 Da Kants im Jahre 1766veröffentlichten Träume eines Geistersehers – erläutert durch Träumeder Metaphysik älter sind, mag dieser Verweis Wielands Bedeutung imRahmen der frühen Geisterdiskussion in der deutschen Aufklärung spiegeln.Zumal in der Tat die Geisterlehre eines echten Materialisten inder Geschichte des Agathon von 1766 das früheste Zeugnis der Auseinandersetzung des Autors mit dem Begriff »Geist« und seinen möglichen Implikationen bietet. »Geist« nennt man im 18. Jahrhundert einkörperloses, über einen eigenen Willen verfügendes Wesen – die Seeleeines Verstorbenen, einen Engel oder einen Dämon etwa –, währendmit »Gespenst« die sinnliche Erscheinung eines solchen Geistes bezeichnet.5 Wenn sich Wieland in der Geschichte des Agathon mit der Naturder Geister beschäftigt, geht es ihn um den Begriff im ersten Sinn, aberseine Betrachtungen liefern schon den Kern einer späteren Analyse, diesowohl Geister als auch (literarische) Gespenster einbeziehen wird.Agathon, der nach zahlreichen abenteuerlichen Widrigkeiten (Verbannung aus Griechenland, Entführung durch Seeräuber) als Sklave insHaus des Sophisten Hippias gerät, wird von seinem neuen Herrn in einephilosophische Diskussion verwickelt, die Sinnlichkeit und Spiritualität,Empfindungen, Körper und Seele, schließlich Materialismus und Idealismus berührt; so verspricht sich Hippias, Agathon für den Empirismuszu gewinnen. Hippias’ Haltung zu Geistern ist anfangs eindeutig: »[I]ch45116Vgl. den Eintrag »Geisterseher«, in Deutsches Wörterbuch, hg. v. Jacob u. Wilhelm Grimm (Leipzig: S. Hirzel, 1854-1971), V, Sp. 2753.Vgl. Sawicki, »Die Gespenster und ihr Ancien Régime«, S. 368.ELISA LEONZIO

kenne die Welt und sehe keine Geister«.6 Diese radikal empiristischeAussage wird im Verlauf des Dialogs nur teilweise gemildert:Ich will hiemit nicht leugnen, daß es Götter, Geister oder vollkommnereWesen als wir sind, haben könne oder würklich habe. Alles was meineSchlüsse zu beweisen scheinen, ist dieses, »daß wir unfähig sind, uns einerichtige Idee von ihnen zu machen, oder kurz, daß wir nichts von ihnenwissen.«7Aber trotz solch skeptischer Urteilsenthaltung gilt in der Wahrscheinlichkeitsperspektive die Geister- und Götterexistenz als unwahrscheinlichund wird dem Glauben der alten Völker an Nymphen, Tritonen oder»die Grazien der Dichter«8 gleich gesetzt. Heutigentags, so behauptetHippias, seien es vor allem die jungen Leute, die wegen ihrer »lebhaftenEmpfindung« und »feurigen Einbildungskraft«9 am leichtesten an Geister glauben und darin auch Befriedigung und Vergnügen finden. Dasaber lässt die Hauptfrage ungelöst, ob die Geister wirklich existieren:[A]llein ob diese Träume außer dem Gehirn ihrer Erfinder, und derjenigen,deren Einbildungskraft so glücklich ist ihnen nachfliegen zu können, einigeWahrheit oder Würklichkeit haben, ist eine Frage, deren Erörterung nichtzum Vorteil derselben ausfällt, wenn sie der gesunden Vernunft aufgetragenwird. Je weniger die Menschen wissen, desto geneigter sind sie, zu wähnenund zu glauben.10Der vor das Gericht der Vernunft gebrachte Glaube verliert an Begründungskraft und wird auf eine Folge seelischer Zustände und vor allemauf Unwissenheit und Aberglauben reduziert, gegen die ein wachsendesund immer tieferes Wissen gestellt wird: »Je besser wir die Körperweltkennen lernen, desto enger werden die Grenzen des Geister-Reichs«.11Hippias’ Behauptungen stehen in der Tradition der sophistischen Polemik gegen die platonische Philosophie – besonders gegen Platons Lehrevon der Unsterblichkeit der Seele und ihrer daraus resultierenden Unabhängigkeit vom Leib. Sie dürfen deshalb in ihrer Ganzheit nicht als6Christoph Martin Wieland, Geschichte des Agathon, in Werke, hg. v. Fritz Martini u. Hans Werner Seiffert (München: Hanser, 1964-68), I, S. 424.7 Ebd., S. 446.8 Ebd., S. 445.9 Ebd., S. 443.10 Ebd., S. 444.11 Ebd.GEISTERLEHRE UND GESPENSTERGESCHICHTE117

Überzeugung des Schriftstellers Wieland verstanden werden. Auch derweitere Verlauf des Romans sowie sein Schluss, in dem ein Weg zwischen Idealismus und Realismus verfolgt wird, erlauben keine völligeIdentifizierung von Wielands mit Hippias’ Perspektive; dies gilt ebensofür Wielands und Agathons Ideen. Trotzdem sind in Hippias Vortragviele Motive zu erkennen, die typisch für die aufklärerische Kritik amAberglauben sind. Etwa die häufige Opposition von Dunkelheit undLicht oder Unwissenheit und Kultur.Diesen Eindruck bestätigt ein Vergleich mit dem Aufsatz »Über denHang der Menschen an Magie und Geistererscheinungen zu glauben«(1781), in dem Wieland ähnliche Positionen einnimmt. Hier wird dieKritik an der Religion expliziter formuliert:Wie viel endlich unter allen Völkern die Religion beigetragen habe, dieseDisposizion in den Gemüthern der Menschen zu verstärken, braucht hierkaum erwähnt zu werden. Und was ists Wunder, wenn Priester [.] geschäftig gewesen sind, den Glauben an übermenschliche Wesen und übernatürliche Wirkungen zu befördern?12Aber nicht nur religiöser Schwindel, sondern auch verführerischeAbsicht bei den Laienerziehern wird als Grund für den so weit verbreiteten Geisterglauben angegeben: Denn wie schon in der Geschichte desAgathon sind es vor allem Kinder und junge Leute, die an Geister undGespenster glauben. Denn die Lehrer nutzen die Unmündigkeit derunerfahrenen Vernunft aus, um die zukünftigen Erwachsenen zu regieren. Ähnlich profitieren die Dichter, die im Wunderbaren die reichsteQuelle ihres Schreibens finden, vom Hang der Menschen, an Geistererscheinungen zu glauben, und ihrer Bereitwilligkeit, getäuscht zu werden.Trotz des Bekenntnisses, dass der Glaube an die Geisterexistenz aucheinen natürlichen Grund habe, da die Menschen in diesem Glaubenihre »Hoffnung« zum Ausdruck bringen, »nach diesem Leben in einemandern persönlich fortzudauern«13, bleibt Wielands Kritik rigoros. Siezielt gleichzeitig auf Pädagogik, Literatur und sogar auf die Philosophie12 Christoph Martin Wieland, »Über den Hang der Menschen an Magie und Geistererscheinungen zu glauben«, in Sämtliche Werke, hg. v. Paul Oskar Kristeller(Carlsruhe: Bureau der deutschen Klassiker, 1815), XXIV, S. 59-76 (S. 63).13 Ebd., S. 71.118ELISA LEONZIO

seines Jahrhunderts: eine »poetische Art von Filosofie«,14 der nur dieAufklärung entgegenwirken könne.Genau in der Behandlung der Aufklärung und ihrer möglichen positiven Wirkung liegt der paradoxe und zugleich bedeutendste Beitrag vonWielands Analyse. Im Gegensatz zu Hippias Worten meint nämlich Wieland, dass der Geisterglaube nicht eine direkte Folge der Unwissenheit,sondern des wachsenden Wissens sei – die Menschen versuchten, »mitder Fackel der Beobachtung ins Innere der Natur einzudringen«:15Aber die Einbildungskraft findet immer wieder Mittel sich im Besitz ihreralten Rechte zu erhalten. Der Kreis ihrer Wirksamkeit erweitert sichzugleich mit dem Kreise unsrer Kenntnisse. Die Natur [.] erscheint immerwundervoller, geheimnißreicher, unerforschlicher, je mehr sie gekannt,erforscht, berechnet, gemessen und gewogen wird.16Schließlich wird der Geisterglaube explizit als »natürliche Folge derAufklärung«17 bezeichnet: »Je weiter die Grenzen unsrer Kenntnissehinaus gerückt werden, je mehr wir die unerschöpfliche Mannigfaltigkeit der Natur im Detail ihrer Werke kennen lernen; desto weiter dehntsich auch der Kreis des Möglichen vor unseren Augen aus«.18 Derscheinbare »Rückfall« in den Aberglauben wird dabei von Wieland alsBewegung erkannt, die zur Aufklärung selbst gehört und ihr dialektisches »Schwanken«19 ankündigt. In diesem Doppelaspekt der Aufklärung, der gegen Ende des 18. Jahrhunderts immer deutlicher hervortritt,kündigt sich die Frühromantik an. ( & 4 1 & / 4 5 & 3 ( & 4 ) * ) 5 & 6 / % 7 & 3 5 & * % * ( 6 / ( % & 4 "#&3(- "6#&/4 &"/ 1"6-4 %*& 6/4* )5#"3& -0(&Jean Paul spiegelt schon in seinem ersten Roman Die Unsichtbare Loge(1793) die ambivalente Einstellung der Aufklärung zum Übernatürlichen im Allgemeinen sowie zur Geisterseherei im Besonderen.20 In sei14151617181920Ebd., S. 66.Ebd.Ebd., S. 66-67.Ebd., S. 68.Ebd.Ebd., S. 79.Die literarischen Modelle des Romans waren zwei Untergattungen der Romangattung: Einerseits der ›Schwärmerroman‹, der den religiösen Enthusiasmus ausGEISTERLEHRE UND GESPENSTERGESCHICHTE119

ner Erzählung von Kindheit und Jugend Gustavs von Falkenberg richtet der Autor größte Aufmerksamkeit auf die einander widersprechenden pädagogischen Modelle, die an dem Kind erprobt werden. AchtJahre wohnt Gustav in einer Höhle und wird in absoluter Einsamkeitnach pietistischen Prinzipien erzogen; genau diese ersten Bildungsjahremachen aus ihm ein schüchternes und introvertiertes Kind, geneigt zuMelancholie und Träumerei. Sein Vater, der Rittmeister von Falkenberg,ein überzeugter Aufklärer, fürchtet die irrationalen und sentimentalischen Neigungen in Gustavs Persönlichkeit; ihn quält die Vorstellung,dass sein Sohn weich und ängstlich werden könnte. Und so entscheidet er, diesen unheilvollen, aus der pietistischen Erziehung resultierenden Ausgang zu verhindern, indem er das Kind dem »Moralprofessor«Hoppedizel anvertraut – dem Anhänger einer utilitaristischen Ethik, dieihre Gründe in der menschlichen Eigensucht und einem raffinierten Spielvon Heucheln und Simulieren findet. Es folgen einige Jahre im Kadettenschulhaus, wo Gustav neben psychischer auch körperliche Gewalterfährt, und eine Zeit am Hofe der Residenzstadt, wo der Junge sogarverführt wird.Die von Falkenberg gewünschten Maßnahmen, weit entfernt vonjeder Heilwirkung, erhöhen Gustavs Verlangen nach Isolierung undpotenzieren seine schon früh ausgeprägte Einbildungskraft, die ihmhilft, der unerträglichen Realität zu entfliehen. Dabei bezweifelt JeanPaul nicht, dass einige der Sorgen des Rittmeisters gut begründet sind:Melancholie, Phantasterei und Neigung zur Isolation gelten als antisoziale Tendenzen, die der Autor, darin ein echter Sohn der Aufklärung, nurmit Argwohn betrachten kann.Diese Dialektik zwischen Verteidigung des Rationalismus undAnerkennung der irrationalen Dimension des Menschen wird durch dieim Roman eingelegte ›Gespenstergeschichte‹ exemplifiziert. Hier verbindet Jean Paul den Rationalismus-Irrationalismus-Streit über die Vorzügeeiner rationalistischen Perspektive behandelte. Vgl. Wolfgang Riedel, Die Anthropologie des jungen Schillers. Zur Ideengeschichte der medizinischen Schriftenund der ›Philosophischen Briefe‹ (Würzburg: Königshausen & Neumann, 1985),S. 242-44 und Matthew Bell, The German Tradition of Psychology in Literature and Thought, 1700-1840 (New York: Cambridge University Press, 2005), S.115. Und andererseits der ›Schauer- oder Geisterroman‹, der dank Horace Walpoles Roman The Castle of Otranto (1764) und dessen Übersetzung ins Deutsche(Schloß Otranto) im Jahr 1768 sehr populär beim deutschen Publikum wurdeund sich mit Schillers Der Geisterseher (1787-1789) am Buchmarkt durchsetzte.120ELISA LEONZIO

und Gefahren eines vernunftgeleiteten Verhaltens mit einer poetologischen Diskussion über Form und Inhalt der Erzählung, die entwedereine entzauberte Wirklichkeit widerspiegeln oder, ganz im Gegensatz,eine das Wunderbare in sich bewahrende Welt schaffen muss.Die Gespenstergeschichte enthält alle für diese Gattung typischenBestandteile und Strukturen zur Steigerung der Spannung – von derDunkelheit über geheimnisvolle Geräusche und unerwartete Erscheinungen bis zur Aufschiebung der Erklärung:Drei Tage, eh’ der Professor kam, war Gespensterlärm im Schloß; zweiTage vorher währte er noch fort; einen Tag zuvor machte der Rittmeister Anstalten zur Entdeckung der Schelmerei. Er hatte eine Wasserscheuvor Gespenstergeschichten und gab jedem Bedienten, der eine wie Bokazerzählte, als ein Honorar seiner Novelle nach der Bogenzahl Prügel. [.] Sie[die Rittmeisterin, E.L] hatte nachts ein dreifüßiges Gehen durch den Korridor gehört, ein Blitz war durch ihr Schlüsselloch gefahren, und eine andreTaschenuhr als ihre hatte 12 geschlagen, und alles war verflogen.21Falkenberg hasst Geisterglauben und Gespenstergeschichten: Zu leichtverwandele der Aberglauben scheinbar übernatürliche, doch – sobaldvernünftig untersucht – erklärbare Phänomene in Beweise für die Existenz von Geistern und überirdischen Wesen. Dem Aberglauben stellter eine rationale und prosaische Methode entgegen, die die irrationaleNeigung des Menschen korrigieren soll. Als Gustav und seine Mutter imSchloss von ungewöhnlichen Phänomenen zu Tode erschreckt werden,die man sofort als Geistererscheinung auslegt, entscheidet sich der Rittmeister, die Unbegründetheit solchen Glaubens zu demonstrieren, indemer die mysteriösen Erscheinungen auf natürliche Ursachen zurückführtund vernunftgemäß auflöst:Die Schloßuhr schlug 11, es kam nichts – sie schlug 12, wieder nichts – sieschlug 12 noch einmal ohne Hülfe des Uhrwerks; jetzo wickelte sich aufdem Schloßboden ein hieroglyphisches Gepolter heran, drei Füße tratendie vielen Treppen herab und erschüttern den Korridor. Er, der selten inLeiden, aber immer in Gefahren mutig war, ging langsam aus dem Zimmer und sah im langen Gange nichts als die ausgeblasene Hauslaterne ander Haupttreppe; etwas ging im Finstern auf ihn zu – und indem er aufdas stumme Wesen feuern wollte, rief er: ›Wer da?‹ Plötzlich blitzte fünfSchritte von ihm – und hier faßte der Tetanus der Angst Gustavs Nerven –21 Jean Paul, Unsichtbare Loge, in Werke, hg. v. Norbert Miller (München: Hanser, 1960), Abt. I/1, S. 173-74.GEISTERLEHRE UND GESPENSTERGESCHICHTE121

das Licht einer Blendlaterne auf ein Gesicht, das in der Luft hing und dassagte: ›Hoppedizel!‹ Der wars; warf sein Stiefelholz und andern Apparatdieser Farce weg, und niemand hatte etwas darwider als der Rittmeister,weil er seinen Mut nicht beweisen konnte, und die Rittermeisterin, weil siekeinen bewiesen hatte.22Da sich die Geistererscheinung schließlich als bloßer Scherz seines Freundes entpuppt und die »Apparate der Farce«23 enthüllt sind,scheint die rationale Haltung des Rittmeisters zu triumphieren: DerSchock und die Angst vor dem Unbekannten, die die Erzählung hätteerregen können, werden eliminiert. Der Autor zieht die Reaktionenaller Teilnehmer der Episode ins Lächerliche, sowohl die der durch eineharmlose Farce betrogenen Zuschauer als auch die des Betrügers selbst,der beinahe zum Opfer seines eigenen Betrugs wird – Falkenberg hälteine Pistole schußbereit in der Hand. Die Schauererzählung wird lächerlich gemacht: Hoppedizel, beauftragt, Gustav zum Scheerauer Kadettenschulhaus zu geleiten, und durch eine langjährige Freundschaft mitdem Rittmeister verbunden, treibt ein Spiel mit dessen bekanntem Hassauf den Aberglauben. Dank der Initiative des Rittmeisters ist jedes dernächtlichen Phänomene vollkommen aufgeklärt und die erzeugte Spannung aufgelöst.Der lächerliche Ton, der das Ende der Episode kennzeichnet, hebta contrario die im Schloss herrschende geheimnisvolle Atmosphäre hervor, die im Text mittels einer Klimax akustischer Eindrücke inszeniertwird: angefangen vom dreifüßigen Gehen durch den Korridor über dasSchlagen einer mysteriösen Uhr bis hin zu einem unerklärlichen Gepolter. Zu den akustischen Eindrücken tritt als weitere Bestürzungsursache eine Reihe visueller Erscheinungen, den Gegensatz von Licht undFinsternis markierend: ein Blitz durchs Schlüsselloch, eine a

ÈÝUmschwebende GeisterÜ und aufgekl rter Alltag. Esoterik als Religiosit t der Sp taufkl rungÇ, in Aufkl rung und Esoterik , hg. v. Monika Neugebauer-W lk (Hamburg: Meiner, 1999), S. 397-415. 3 Vgl. J rgen Viering, Schw rmerische Erwartung bei W

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