Zur Bedeutung Albert Camus’ Bezüglich Postmoderner Pädagogik

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Zur Bedeutung Albert Camus’bezüglich postmodernerPädagogikSinn und Wahrheit im pädagogischen KontextDISSERTATIONzur Erlangung des akademischen Gradeseines Doktors der Philosophie (Dr. phil.)derErziehungswissenschaftlichen Fakultätder Universität Erfurtvorgelegt von: Judith MaiErfurt 2016

urn:nbn:de:gbv:547-201700029Erstes Gutachten: Prof. Dr. Winfried Palmowski (Universität Erfurt)Zweites Gutachten: Prof. Dr. Burkhard Fuhs (Universität Erfurt)Drittes Gutachten: Prof. Dr. Andrea Platte (Technische Hochschule Köln)Tag der Disputation: 18.01.2017Tag der Promotion: 18.01.2017

„Das Herz in mir kann ich fühlen, und ich schließe daraus, dass esexistiert. Die Welt kann ich berühren, und auch daraus schließe ich, dasssie existiert. Damit aber hört mein ganzes Wissen auf; alles andere istKonstruktion“(Camus 2005, 30)

DanksagungMit Abgabe dieser Arbeit liegt ein langer Weg hinter mir, auf dem ich vielewertvolle Erfahrungen gesammelt habe und viel lernen konnte. Nun ist einwichtiges persönliches Ziel erreicht. Alleine hätte ich es allerdings nicht geschafft,weshalb ich hier die Gelegenheit nutzen möchte, mich bei den wichtigstenMenschen dafür zu bedanken.An erster Stelle steht mein geliebter Lebensgefährte Matthias Linke, der michüber die Zeit mit Ruhe, Geduld und Verständnis unterstützt hat. Außerdem hat ermir durch unsere Partnerschaft viel Glück und Energie geschenkt, wofür ich ihmgar nicht genug danken kann.Mein Dank gilt Herrn Prof. Winfried Palmowski, der mit seiner Betreuung dieEntstehung dieser Arbeit überhaupt erst ermöglichte. Sein kompetenter Rat undseine Hilfe kamen mir in den richtigen Momenten sehr zugute. Die Gespräche aufintellektueller und persönlicher Ebene werden mir immer als bereichernder undkonstruktiver Austausch in Erinnerung bleiben. Besonders bedanken will ich michauch für die Freiheit, die er mir während des gesamten Projektes gewährte, wasmaßgeblichzumGelingendieserArbeitbeitrug.Mein besonderer Dank gilt meiner Familie für die mehrfache Durchsicht unddiekritischenAnmerkungen. Die unermüdliche Unterstützung, der moralische Beistand, dermenschliche Halt, die Liebe und die Motivation haben mir vor allem in denschwierigen Situationen Kraft und Mut zur Anfertigung und Vollendung meinerDissertation gegeben.

Inhaltsverzeichnis1. EINLEITUNG11.1 Persönlicher Zugang11.2 Erziehungswissenschaftlicher Zugang21.3 Philosophischer Zugang51.4 Kapitelüberblick92. DIE FRAGE NACH MENSCH UND SINN ODER DIE ERFINDUNG DER WAHRHEIT112.1 Denksysteme im griechischen Mythos132.2 Die Vorsokratiker und die drei großen Athener152.2.1 Die Vorsokratiker152.2.2 Sokrates162.2.3 Platon192.2.4 Aristoteles222.2.5 Der Mensch als Teil des Ganzen242.3 Die christlichen Anfänge – Hellenismus, Jesus von Nazareth und Augustinus252.3.1 Jesus von Nazareth262.3.2 Augustinus282.4 Das Mittelalter302.4.1 Anselm von Canterbury322.4.2 Thomas von Aquin322.4.3 Meister Eckhart und William von Ockham352.4.4 Der Mensch inmitten von Schöpfung aus dem Nichts und Ursünde372.5 Die Renaissance – Aufbruch in die Neuzeit392.5.1 Francesco Petrarca und Desiderius Erasmus von Rotterdam – Väter des Humanismus402.5.2 Die kopernikanische Wende43

2.6 Die Neuzeit452.6.1 René Descartes462.6.2 Gottfried Wilhelm Leibniz472.7 Von der Aufklärung zum deutschen Idealismus492.7.1 Immanuel Kant542.7.2 Georg Wilhelm Friedrich Hegel612.7.3 Johann Friedrich Herbart und Wilhelm von Humboldt – Pädagogik auf der Suche nachdem idealen Menschen2.8 Marx, Nietzsche und Adorno – Die Wahrheit des Ganzen im 19. und 20. Jahrhundert65662.8.1 Karl Marx662.8.2 Friedrich Wilhelm Nietzsche722.8.3 Theodor W. Adorno772.8.4 Reformpädagogik – Alte Wahrheiten in neuen Gewändern812.9 Der postmoderne Einwand – Die Idee der Wahrheit auf dem Prüfstand842.9.1 Jean-François Lyotard862.9.2 Pädagogik jenseits bestimmender Wahrheiten (?)902.10 Fazit und Ausblick – Über das pädagogische Wissen zur Bestimmung des Menschen943. ALBERT CAMUS973.1 Einblicke in Leben und Werk983.2 Zur Beantwortung der Frage nach dem Sinn und was denn eigentlich ist1013.2.1 Das Verlangen nach Wahrheit1013.2.2 Die bloße Faktizität oder die Welt und der Mensch sind nicht mehr als das sie sind1043.2.3 Das Absurde1073.2.4 Die Haltung des absurden Menschen oder „Was der Mensch wissen kann!“1113.2.4.1 Endlichkeit1113.2.4.2 Leben1133.2.4.3 Miteinander1153.2.4.4 Skepsis1163.2.4.5 Auflehnung1173.2.5 Zusammenfassung unter besonderer Beachtung der Wahrheitserklärung Camus'3.3 Zur Beantwortung der Frage „Wie in der Welt zu leben ist?“118120

3.3.1 Das Absurde als Ursprung der Empörung1213.3.2 Das Bewusstsein der Revolte oder die Erkenntnis der Verbundenheit1233.3.3 Die Weigerung gegen das absurde Sein und der Verlust der Grenze1263.3.3.1 Die metaphysische Revolte1293.3.3.2 Die historische Revolte1343.3.4 Promethisches Revolteverständnis1403.3.5 „pensée solaire“ - Der skeptische Blick und der Gedanke des Maßes1443.4 Camus' Idee von Gesellschaft1473.5 Resümee – Was zu wissen und wie zu handeln ist1504. MÖGLICHE PRINZIPIEN EINER POSTMODERNEN PÄDAGOGIK BASIEREND AUF DENPHILOSOPHISCHEN GRUNDLEGUNGEN ALBERT CAMUS'1534.1 Zum Bedeutungshorizont des Begriffs Postmoderne für diese Arbeit1544.1.1 Zur Geschichte des Begriffs „Postmoderne“ mit besonderem Bezug auf die BereicheLiteratur, Architektur, Malerei, Soziologie und Philosophie1574.1.1.1 Literatur1584.1.1.2 Architektur1604.1.1.3 Malerei1624.1.1.4 Soziologie1634.1.2 Postmoderne als Ver-Windung und Ver-Wendung4.2 „Die schweigende Welt“ – erkenntnistheoretische Überlegungen1661704.2.1 Die Fiktion objektiver Erkenntnis1714.2.2 Reflexion der Erfindung – Erkenntnis des Absurden1734.2.3 Zusammenfassung und Ausblick1774.3 Die „Treue zum Menschen“ als pädagogisches Selbstverständnis1804.3.1 Exkurs: Die Fatalität des Ursprungsverlustes dargestellt an der pädagogischen Traditionvon Disziplin und Gehorsam1814.3.1.1 Martin Luther1814.3.1.2 August Hermann Francke1824.3.1.3 Dr. Daniel Gottlieb Moritz Schreber1834.3.1.4 Wolfgang Brezinka1854.3.1.5 Bernhard Bueb1884.3.1.6 Resümee189

4.3.2 Der Codex der absurden Existenz1904.3.3 Rückkehr zum Ursprung – Verantwortung als Ausdruck des pädagogischenSelbstverständnisses1924.3.4 Die Konstituierung des pädagogischen Menschenbildes im Spannungsfeld derSubjektivität1964.4 Zur Modifikation der pädagogischen Grundbegriffe Sozialisation, Erziehung, Bildung undLernen4.4.1 Sozialisation2012024.4.1.1 Gemeinschaft durch Subjektivität2054.4.1.2 Subjektivität durch Gemeinschaft2074.4.1.3 Menschsein als einzige Gewissheit2104.4.2 Erziehung2124.4.2.1 Enttrivialisierung des Menschen2134.4.2.2 Die Paradoxie des Erziehungsgedankens2154.4.2.3 Erziehung als Beziehungsgestaltung2184.4.3 Bildung und Lernen in der Spannungseinheit Subjektivität2215. ZUSAMMENFASSENDE SCHLUSSBETRACHTUNG227QUELLENVERZEICHNIS236

1. Einleitung1. EinleitungDie vorliegende Arbeit hat zum Ziel, die Bedeutung Albert Camus für diepostmoderne Pädagogik herauszuarbeiten. Es ist also zum einen von Nöten, dieKernpunkte des camusschen Denkens darzustellen und zum anderen, welcheRelevanz diese für eine Pädagogik haben, die als postmodern bezeichnet wird.Die Wahl des Untertitels „Sinn und Wahrheit im pädagogischen Kontext“ solldabei darauf verweisen, dass der Fokus der Betrachtung auf dem Wesen, demKern derpädagogischen Disziplin,also ihremSelbstverständnis,ihrenÜberzeugungen, ihrer Legitimation und ihrem Wissen, liegt. Die Konstitution eProblematikdernachfolgenden Ausführungen, denn Camus‘ Philosophie geht nicht von einerKongruenz der Begriffe Sinn und Wahrheit aus, sondern verbindet mit ihnen einnichtauflösbares Spannungsverhältnis, das untrennbar mit der Bestimmungmenschlichen Seins verbunden ist.Zur Hinführung in die Thematik werden drei Zugänge gewählt, die daserkenntnisleitendeInteresseder ArbeitausverschiedenenBlickwinkelnformulieren sollen. Im Anschluss erfolgt eine kurze inhaltliche Vorstellung der dreiHauptkapitel.1.1 Persönlicher ZugangDen Entschluss diese Arbeit zu schreiben fasste ich am Ende meines Studiumszur Sonder- und Integrationspädagogin. Bestärkt wurde dieses Vorhaben durchmeine beruflichen Tätigkeiten als Sozialpädagogin in der stationären Jugendhilfeund der schulischen Sozialarbeit, denn sowohl in der Ausbildung als auch imArbeitsalltag interessierte und interessiert mich die Frage, auf welcher Grundlagepädagogisch gedacht und gehandelt wurde und wird. Im Studium lernte ich diepädagogische Diskurslandschaft kennen und sah mich umgeben von einerVielzahl von Menschen, die eine Meinung zu und ein Interesse an denunterschiedlichsten Theorien und Methoden der Sonder- und Sozialpädagogikhatten. In der Praxis sehe ich mich konfrontiert mit ebenso vielen menschlichenMöglichkeiten der Gestaltung pädagogischer Prozesse. Nicht selten entsteht fürmich der Eindruck, als seien Theorie und Praxis der Pädagogik durch eine1

1. weiseavancierenpersönlicheTheoriesympathien, „bewährte“ Konzepte und die eigene Befindlichkeit zupädagogischen Leitfäden. Es scheint als habe jede Pädagogin und jederPädagoge eine eigene Antwort auf die Frage nach dem Menschen und der Artwie mit diesem im pädagogischen Kontext umgegangen wird. Paradoxerweisepräsentiert sich pädagogisches Denken und Handeln im Deckmantel expliziterFundierung, agiert dabei aber implizit zu tiefst subjektiv. Dieser Widerspruch stelltfür mich hinsichtlich des pädagogischen "Gegenstandes", des Menschen, eineelementare Problematik dar, denn die Haltung der Pädagogin oder eblichdenzwischenmenschlichen Umgang. Vielfach umfasst dieser im eBeurteilungen,Diagnosen,Empfehlungen, Förderplane, Hilfepläne usw. Die Entscheidungsgrundlage stelltdabei das pädagogische Selbstverständnis dar und wird zugleich durch dieseslegitimiert. Diese Beliebigkeit und subjektive Eigenmächtigkeit widerstreitetmeiner Ansicht nach mit einer Vorstellung von Pädagogik als Wissenschaft undverlangt nach einem verbindlichen Codex, der die Möglichkeiten und Grenzen imKontext der Pädagogik umfasst. Den Ausgangspunkt einer solchen habituellenVerbindlichkeit muss ein Standpunkt zum Menschen darstellen, also einpädagogisches Menschenbild, das als wissenschaftlich und richtungsweisendbezeichnet werden kann. Den Entwurf eines solchen Menschenbildes und eindavon ableitbares Schema von Pädagogik möchte ich mit dieser Arbeit leisten.1.2 Erziehungswissenschaftlicher ZugangDer Begriff Pädagogik hat seinen Ursprung in dem altgriechischen Begriff„paideia“, was mit „Erziehung“ oder „Bildung“ übersetzt werden kann und dungs-undErziehungsprozesse (vgl. Stein 2009, 11). Der Begriff “paideia” beinhaltet dieWortstämme “pais” für Kind und “agein” für führen (vgl. ebd.). Nach Margit Steinversinnbildlicht dies wörtlich die Führung des Kindes vom Elternhaus in dieBildungsstätte (vgl. a.a.O.: 12). Seit dem 18. Jahrhundert wird neben dem altenBegriff der Pädagogik im deutschen Sprachgebrauch auch der BegriffErziehungswissenschaft genutzt. Insbesondere seit den 1960er Jahren sollte2

1. Einleitungdieser Begriff den Wissenschaftscharakter der Pädagogik betonen (vgl. ebd.).Gegenwärtig werden nach Margit Stein beide Begriffe synonym gebraucht ogikbzw.Erziehungswissenschaft gleichzeitig eine „theoretisch fundierte Reflexions- haft,dieanderVerbesserung pädagogischer Vorgänge von Erziehung, Bildung, Lernen undSozialisation mitarbeitet und Handlungswissen für die Praxis zur Verfügung stellt“(ebd.), ist. Anders gesagt ist die Pädagogik die Wissenschaft, „die Prozesse derErziehung, Bildung, des Lernens und der Sozialisation wissenschaftlichbeobachtet, interpretiert, erklärt, die Auswirkungen dieser Prozesse vorhersagtund somit allen hieran beteiligten Personen der pädagogischen PraxisHandlungswissen zur Verfügung stellt“ (ebd.). In der Folge dieser Definitionenkönnen Erziehung, Bildung, Lernen und Sozialisation als die Kernthemen derPädagogik abgeleitet werden. Diesen Kernthemen (wie auch der Pädagogikselbst) liegt der Mensch zugrunde und verleiht ihnen so ihre Legitimation. Dasheißt, der Mensch muss in irgendeiner Form gefasst und damit definiert sein,denn nur so lassen sich laut Stein „pädagogische Prozesse beobachten,interpretieren, erklären und vorhersagen“ (a.a.O.: 13). Diese Aufgabe erfüllt dasMenschenbild, das sich mit den „Dimensionen oder Bereichen, welche denMenschen ausmachen, den abgeleiteten Bedürfnissen des Menschen und densich daraus für die Pädagogik ergebenden Aufgaben“ (a.a.O.: 15) befasst. Eineinheitliches Menschenbild kann allerdings nicht ausgemacht werden, vielmehr„gliedert sich die Pädagogik in einzelne Subdisziplinen, die wiederum bestimmteFachrichtungen unter sich organisieren und auf einzelnen Praxisfeldernaufbauen“ (a.a.O.: 13), deren Fundamente jeweils unterschiedliche Bilder desMenschen sind. Es wird deutlich, dass alle pädagogischen Fragen unweigerlichzum Menschen bzw. zu einem Menschenbild führen. Das Menschenbild ist alsodas erste und ernste Problem der Pädagogik. Disziplindiskurse, Professionalitätsdebatten und Didaktikfragen sind vorerst zweitrangig. Zuerst muss sichder pädagogisch denkende und handelnde Mensch dazu positionieren. Nunerweist sich eben jene Positionierung als problematisch, denn der Pädagogikmangelt es, wie Heinz-Hermann Krüger formuliert, an einer Gesamtkultur, alsVerbindung zwischen den Subsystemen, einem allgemeinen Überbau (vgl.Krüger 2004, 333). Volker Kraft äußert dazu: Die „Pädagogik wird die Frage nachdem Allgemeinen nicht los. Daher ist es verfehlt, die derzeitige Situation des3

1. EinleitungFaches so zu kennzeichnen, als stünden die ewig gestrigen, ebensokonservativen wie unbelehrbaren 'Allgemeinen' den fortschrittlich gesinnten'Ausdifferenzierern' gegenüber. Vielmehr kann der seit längerem anhaltende, sichvor allem an den Fragen nach einer Allgemeineren Pädagogik manifestierendeStreit um das Besondere des Allgemeinen als Ausdruck des Sachverhaltsverstanden werden, dass das System sozusagen nach re-entry verlangt. Wirddiese Aufgabe nicht in Angriff genommen, blockiert sich die Theoriebildung andieser Stelle selbst mit der Folge, dass die Entwicklung des Fachs stagniert. DieSubdisziplin, die den Wiedereintritt des Allgemeinen in das Unterschiedene zubetreiben hätte, muss nicht erfunden werden, denn sie gibt es bereits: dieAllgemeine Pädagogik!“ (Kraft 2009, 289). Dieses Zitat führt zu der Frage, wie esder Pädagogik an einer verbindlichen Basis mangeln kann, wenn es doch eineAllgemeine Pädagogik gibt, deren Aufgabe darin besteht, eben dies zuerarbeiten. Um das zu beantworten, soll die Allgemeine Pädagogik selbst befragtwerden. Krüger beschreibt in seinem Text „Erziehungswissenschaft und ihreTeildisziplinen“ die Allgemeine Pädagogik mit folgenden Worten: „Lange Zeit Handlungsfelderdaihralsdiedie rundgedanken[ gogik zu einer ganz normalen Subdisziplin der chaftstheoretischenFragenundmethodologischen Grundlagenfragen der Erziehungswissenschaft, mit Fragenvon Anthropologie, Sozialisation und Erziehung [ ] auseinandersetzt“ (Krüger2004, 328). Demzufolge müsste die Allgemeine ldgebenallgemeinekönnen.VonBedeutung dafür ist die pädagogische Anthropologie, welche sich laut FriedrichW. Kron unter anderem mit der Erörterung der Grundsatzfrage „nach dem Wesendes Menschen und seiner Bestimmung“ (Kron 2001, 20) auseinandersetzt. Ananderer Stelle formuliert er: „Anthropologie oder im engeren Sinne pädagogischeAnthropologie sammelt und systematisiert jene Forschungserträge, auf derenGrundlage ein Bild vom Menschen entwickelt werden kann [ ]“ (a.a.O.: 214).Allerdings ist ein leitendes Menschenbild nicht zu finden. Herbert Gudjons zählt inseinem Werk „Pädagogisches Grundwissen“ unter dem Aspekt anthropologische4

1. EinleitungGrundlagen zahlreiche Auffassungen der unterschiedlichsten Wissenschaftenüber den Menschen auf. Dabei erscheint der Mensch nach Arnold Gehlen als„Mängelwesen“ (Gudjons 2003, 176), Adolf Portmann spricht von einer„physiologischen Frühgeburt“ (a.a.O.: 177), für Jacob von Uexküll ist der Mensch„umweltungebunden“ (ebd.) und „weltoffen“ (ebd.), Johann Gottfried Herderbezeichnet den Menschen als „ersten Freigelassenen der Schöpfung“ (a.a.O.:180) und Kant wird mit den Worten: „Der Mensch kann nur zum Menschenwerden durch Erziehung. Er ist nichts, als was Erziehung aus ihm macht .“(ebd.) aufgeführt. Dieser Umstand kann als Erklärung für die unter dem Punkt„Persönlicher Zugang“ erfahrene pädagogische Willkür verstanden werden. DiePädagogik oder die Erziehungswissenschaft ist sich uneins, was den Menschenbetrifft, was bedeutet, dass im Denken und Handeln diesen betreffendgrundsätzlich „alles“ möglich sein kann. Die Wissenschaft liefert keinenLeitgedanken. Damit erhebt sich der Zweifel ob die Erziehungswissenschaft oderPädagogik unter diesen Voraussetzungen ihrem Auftrag als Wissenschaftüberhaupt gerecht werden kann? Den Auftrag aller Wissenschaft formuliertHubert Markl mit den Worten: „Zur Antwort ist es gut sich auf den einfachenGrund aller Wissenschaft zu besinnen, der ein methodischer Grund ist:Wissenschaft ist das durch Erfahrung geleitete Verfahren, zuverlässiges Wissenzu erlangen und zu bewahren, sonst nichts“ (Markl 1989, 8). Wissenschaft istalso das Mittel zur Erlangung zuverlässiger Erkenntnis (a.a.O.: 9).An dieser Stelle kann die erste Schlüsselfrage der vorliegenden Arbeit formuliertwerden: Inwieweit haben die pädagogischen Diskurse (zuverlässiges) Wissenüber den Menschen hervorgebracht?1.3 Philosophischer ZugangDie Pädagogik oder Erziehungswissenschaft wird von Walter Bauer und WinfriedMarotzki als junge Wissenschaft bezeichnet, da sie sich erst zu Beginn desvergangenen Jahrhunderts als universitäre Disziplin etablieren konnte (vgl.Bauer/Marotzki 2004, 296). Pädagogische Fragen und Themen wurden somitvorher von anderen Wissenschaften bearbeitet. Besondere Bedeutung kommtdabei der Philosophie zu, denn diese Disziplin beschäftigt sich seit jeher mit dengrundlegenden Fragen „nach dem Wesen des Menschen und seines5

1. EinleitungVerhältnisses zu Welt“ (Kron 2001, 26). Gegenwärtig nimmt die Philosophieallerdings nach Ansicht der Verfasserin eine weniger gewichtige Rolle ragungderNachbardisziplinen Psychologie und Soziologie von pädagogischer Relevanz.Kron erklärt dazu: „Die pädagogischen Fragestellungen können [ ] nicht an denspezifisch philosophischen Fragestellungen ausgerichtet werden, sonst würdedie Philosophie zur Grundlagenwissenschaft der Pädagogik. Die Pädagogik alsselbständige Wissenschaftsdisziplin fragt aus ihrem eigenen Problemhorizontheraus. Dabei konzentrieren sich die Fragestellungen auf den heranwachsendenMenschen und seinMitmenschen,derHineinwachsen in dieNormen,Kulturen,verschiedenen Welten derSprachenundgesellschaftlichenVerhältnisse und zugleich auf die individuelle Entwicklung der Persönlichkeit. DieProzesse der Erziehung und Bildung, die der Entwicklung und des Lernens unddie der Sozialisation und Entkulturation einschließlich ihrer anthropologischenund gesellschaftlichen Bedingungen sind dabei zentral. Bei der Erforschungdieses komplexen, speziell pädagogischen Zusammenhangs ist das Gesprächmit der Philosophie, die einen eher allgemeinen Zusammenhang erörtert,hilfreich“ (a.a.O.: 26 ff.). Für die vorliegende Arbeit gilt diese Position nicht. DerDialog mit der Philosophie wird hier nicht nur als hilfreich, sondern als elementarangese

2.4.4 Der Mensch inmitten von Schöpfung aus dem Nichts und Ursünde 37 2.5 Die Renaissance – Aufbruch in die Neuzeit 39 . 3.3.2 Das Bewusstsein der Revolte oder die Erkenntnis der Verbundenheit 123 3.3.3 Die Weigerung gegen das absurde Sein und der Verlust der Grenze 126

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