Sigmund Freud Vorlesungen Zur Einfuehrung In Die Psychoanalyse

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Sigmund FreudVorlesungen zur Einführungin die PsychoanalyseVorwort1. Vorlesung. Einleitung2. Vorlesung. Die Fehlleistungen3. Vorlesung. Die Fehlleistungen (Fortsetzung)4. Vorlesung. Die Fehlleistungen (Schluß)5. Vorlesung. [Der Traum] Schwierigkeiten und erste Annäherungen6. Vorlesung. [Der Traum] Voraussetzungen und Technik der Deutung7. Vorlesung. Manifester Trauminhalt und latente Traumgedanken8. Vorlesung. Kinderträume9. Vorlesung. Die Traumzensur10. Vorlesung. Die Symbolik im Traum11. Vorlesung. Die Traumarbeit12. Vorlesung. Analysen von Traumbeispielen13. Vorlesung. Archaische Züge und Infantilismus des Traumes14. Vorlesung. Die Wunscherfüllung15. Vorlesung. Unsicherheiten und Kritiken16. Vorlesung. Psychoanalyse und Psychiatrie17. Vorlesung. Der Sinn der Symptome18. Vorlesung. Die Fixierung an das Trauma, das Unbewußte19. Vorlesung. Widerstand und Verdrängung20. Vorlesung. Das menschliche Sexualleben21. Vorlesung. Libidoentwicklung und Sexualorganisationen22. Vorlesung. Gesichtspunkte der Entwicklung und Regression. Ätiologie23. Vorlesung. Die Wege der Symptombildung24. Vorlesung. Die gemeine Nervosität25. Vorlesung. Die Angst26. Vorlesung. Die Libidotheorie und der Narzißmus27. Vorlesung. Die Übertragung28. Vorlesung. Die analytische Therapie1

VorwortWas ich hier als »Einführung in die Psychoanalyse« der Öffentlichkeit übergebe, will aufkeine Weise in Wettbewerb mit den bereits vorliegenden Gesamtdarstellungen diesesWissensgebietes treten. (Hitschmann, Freuds Neurosenlehre, 2. Aufl., 1913; Pfister, Diepsychoanalytische Methode, 1913; Leo Kaplan, Grundzüge der Psychoanalyse, 1914; Régis etHesnard, La Psychoanalyse des névroses et des psychoses, Paris 1914; Adolf F. Meijer, DeBehandeling van Zenuwzieken door Psycho-Analyse, Amsterdam 1915.) Es ist die getreueWiedergabe von Vorlesungen, die ich in den zwei Wintersemestern 1915/6 und 1916/7 voreiner aus Ärzten und Laien und aus beiden Geschlechtern gemischten Zuhörerschaft gehaltenhabe.Alle Eigentümlichkeiten, durch welche diese Arbeit den Lesern des Buches auffallen wird,erklären sich aus den Bedingungen ihrer Entstehung. Es war nicht möglich, in der Darstellungdie kühle Ruhe einer wissenschaftlichen Abhandlung zu wahren; vielmehr mußte sich derRedner zur Aufgabe machen, die Aufmerksamkeit der Zuhörer während eines fastzweistündigen Vortrags nicht erlahmen zu lassen. Die Rücksicht auf die momentane Wirkungmachte es unvermeidlich, daß derselbe Gegenstand eine wiederholte Behandlung fand, z. B.das eine Mal im Zusammenhang der Traumdeutung und dann später in dem derNeurosenprobleme. Die Anordnung des Stoffes brachte es auch mit sich, daß manchewichtige Themen, wie z. B. das des Unbewußten, nicht an einer einzigen Stelle erschöpfendgewürdigt werden konnten, sondern zu wiederholten Malen aufgenommen und wiederfallengelassen wurden, bis sich eine neue Gelegenheit ergab, etwas zu ihrer Kenntnishinzuzufügen.Wer mit der psychoanalytischen Literatur vertraut ist, wird in dieser »Einführung« wenigfinden, was ihm nicht aus anderen, weit ausführlicheren Veröffentlichungen bekannt seinkönnte. Doch hat das Bedürfnis nach Abrundung und Zusammenfassung des Stoffes denVerfasser genötigt, in einzelnen Abschnitten (bei der Ätiologie der Angst, den hysterischenPhantasien) auch bisher zurückgehaltenes Material heranzuziehen.Wien, im Frühjahr 1917Freud2

Erster TeilDie Fehlleistungen(1916)1. Vorlesung. EinleitungMeine Damen und Herren! Ich weiß nicht, wieviel die einzelnen von Ihnen aus ihrer Lektüreoder vom Hörensagen über die Psychoanalyse wissen. Ich bin aber durch den Wortlaut meinerAnkündigung – Elementare Einführung in die Psychoanalyse – verpflichtet, Sie so zubehandeln, als wüßten Sie nichts und bedürften einer ersten Unterweisung.Soviel darf ich allerdings voraussetzen, daß Sie wissen, die Psychoanalyse sei ein Verfahren,wie man nervös Kranke ärztlich behandelt, und da kann ich Ihnen gleich ein Beispiel dafürgeben, wie auf diesem Gebiet so manches anders, oft geradezu verkehrt, vor sich geht alssonst in der Medizin. Wenn wir sonst einen Kranken einer ihm neuen ärztlichen Technikunterziehen, so werden wir in der Regel die Beschwerden derselben vor ihm herabsetzen undihm zuversichtliche Versprechungen wegen des Erfolges der Behandlung geben. Ich meine,wir sind berechtigt dazu, denn wir steigern durch solches Benehmen die Wahrscheinlichkeitdes Erfolges. Wenn wir aber einen Neurotiker in psychoanalytische Behandlung nehmen, soverfahren wir anders. Wir halten ihm die Schwierigkeiten der Methode vor, ihre Zeitdauer,die Anstrengungen und die Opfer, die sie kostet, und was den Erfolg anbelangt, so sagen wir,wir können ihn nicht sicher versprechen, er hänge von seinem Benehmen ab, von seinemVerständnis, seiner Gefügigkeit, seiner Ausdauer. Wir haben natürlich gute Motive für einanscheinend so verkehrtes Benehmen, in welche Sie vielleicht später einmal Einsichtgewinnen werden.Seien Sie nun nicht böse, wenn ich Sie zunächst ähnlich behandle wie diese neurotischenKranken. Ich rate Ihnen eigentlich ab, mich ein zweites Mal anzuhören. Ich werde Ihnen indieser Absicht vorführen, welche Unvollkommenheiten notwendigerweise dem Unterricht inder Psychoanalyse anhaften und welche Schwierigkeiten der Erwerbung eines eigenen Urteilsentgegenstehen. Ich werde Ihnen zeigen, wie die ganze Richtung Ihrer Vorbildung und alleIhre Denkgewohnheiten Sie unvermeidlich zu Gegnern der Psychoanalyse machen müßtenund wieviel Sie in sich zu überwinden hätten, um dieser instinktiven Gegnerschaft Herr zuwerden. Was Sie an Verständnis für die Psychoanalyse aus meinen Mitteilungen gewinnenwerden, kann ich Ihnen natürlich nicht vorhersagen, aber soviel kann ich Ihnen versprechen,daß Sie durch das Anhören derselben nicht erlernt haben werden, eine psychoanalytischeUntersuchung vorzunehmen oder eine solche Behandlung durchzuführen. Sollte sich aber garjemand unter Ihnen finden, der sich nicht durch eine flüchtige Bekanntschaft mit derPsychoanalyse befriedigt fühlte, sondern in eine dauernde Beziehung zu ihr treten möchte, sowerde ich ihm nicht nur abraten, sondern ihn direkt davor warnen. Wie die Dinge derzeitstehen, würde er sich durch eine solche Berufswahl jede Möglichkeit eines Erfolges an einerUniversität zerstören, und wenn er als ausübender Arzt ins Leben geht, wird er sich in einerGesellschaft finden, welche seine Bestrebungen nicht versteht, ihn mißtrauisch und feindseligbetrachtet und alle bösen, in ihr lauernden Geister gegen ihn losläßt. Vielleicht können Sie3

gerade aus den Begleiterscheinungen des heute in Europa wütenden Krieges eine ungefähreSchätzung ableiten, wieviele Legionen das sein mögen.Es gibt immerhin Personen genug, für welche etwas, was ein neues Stück Erkenntnis werdenkann, trotz solcher Unbequemlichkeiten seine Anziehung behält. Sollten einige von Ihnen vondieser Art sein und mit Hinwegsetzung über meine Abmahnungen das nächste Mal hierwieder erscheinen, so werden Sie mir willkommen sein. Sie haben aber alle ein Anrechtdarauf zu erfahren, welches die angedeuteten Schwierigkeiten der Psychoanalyse sind.Zunächst die der Unterweisung, des Unterrichts in der Psychoanalyse. Sie sind immedizinischen Unterricht daran gewöhnt worden zu sehen. Sie sehen das anatomischePräparat, den Niederschlag bei der chemischen Reaktion, die Verkürzung des Muskels alsErfolg der Reizung seiner Nerven. Später zeigt man Ihren Sinnen den Kranken, die Symptomeseines Leidens, die Produkte des krankhaften Prozesses, ja in zahlreichen Fällen die Erregerder Krankheit in isoliertem Zustande. In den chirurgischen Fächern werden Sie Zeugen derEingriffe, durch welche man dem Kranken Hilfe leistet, und dürfen die Ausführung derselbenselbst versuchen. Selbst in der Psychiatrie führt Ihnen die Demonstration des Kranken anseinem veränderten Mienenspiel, seiner Redeweise und seinem Benehmen eine Fülle vonBeobachtungen zu, die Ihnen tiefgehende Eindrücke hinterlassen. So spielt der medizinischeLehrer vorwiegend die Rolle eines Führers und Erklärers, der Sie durch ein Museum begleitet,während Sie eine unmittelbare Beziehung zu den Objekten gewinnen und sich durch eigeneWahrnehmung von der Existenz der neuen Tatsachen überzeugt zu haben glauben.Das ist leider alles anders in der Psychoanalyse. In der analytischen Behandlung geht nichtsanderes vor als ein Austausch von Worten zwischen dem Analysierten und dem Arzt. DerPatient spricht, erzählt von vergangenen Erlebnissen und gegenwärtigen Eindrücken, klagt,bekennt seine Wünsche und Gefühlsregungen. Der Arzt hört zu, sucht die Gedankengänge desPatienten zu dirigieren, mahnt, drängt seine Aufmerksamkeit nach gewissen Richtungen, gibtihm Aufklärungen und beobachtet die Reaktionen von Verständnis oder von Ablehnung,welche er so beim Kranken hervorruft. Die ungebildeten Angehörigen unserer Kranken –denen nur Sichtbares und Greifbares imponiert, am liebsten Handlungen, wie man sie imKinotheater sieht – versäumen es auch nie, ihre Zweifel zu äußern, wie man »durch bloßeReden etwas gegen die Krankheit ausrichten kann«. Das ist natürlich ebenso kurzsinnig wieinkonsequent gedacht. Es sind ja dieselben Leute, die so sicher wissen, daß sich die Krankenihre Symptome »bloß einbilden«. Worte waren ursprünglich Zauber, und das Wort hat nochheute viel von seiner alten Zauberkraft bewahrt. Durch Worte kann ein Mensch den anderenselig machen oder zur Verzweiflung treiben, durch Worte überträgt der Lehrer sein Wissenauf die Schüler, durch Worte reißt der Redner die Versammlung der Zuhörer mit sich fort undbestimmt ihre Urteile und Entscheidungen. Worte rufen Affekte hervor und sind dasallgemeine Mittel zur Beeinflussung der Menschen untereinander. Wir werden also dieVerwendung der Worte in der Psychotherapie nicht geringschätzen und werden zufriedensein, wenn wir Zuhörer der Worte sein können, die zwischen dem Analytiker und seinemPatienten gewechselt werden.Aber auch das können wir nicht. Das Gespräch, in dem die psychoanalytische Behandlungbesteht, verträgt keinen Zuhörer; es läßt sich nicht demonstrieren. Man kann natürlich aucheinen Neurastheniker oder Hysteriker in einer psychiatrischen Vorlesung den Lernendenvorstellen. Er erzählt dann von seinen Klagen und Symptomen, aber auch von nichts anderem.Die Mitteilungen, deren die Analyse bedarf, macht er nur unter der Bedingung einer4

besonderen Gefühlsbindung an den Arzt; er würde verstummen, sobald er einen einzigen, ihmindifferenten Zeugen bemerkte. Denn diese Mitteilungen betreffen das Intimste seinesSeelenlebens, alles was er als sozial selbständige Person vor anderen verbergen muß, und imweiteren alles, was er als einheitliche Persönlichkeit sich selbst nicht eingestehen will.Sie können also eine psychoanalytische Behandlung nicht mitanhören. Sie können nur von ihrhören und werden die Psychoanalyse im strengsten Sinne des Wortes nur vom Hörensagenkennenlernen. Durch diese Unterweisung gleichsam aus zweiter Hand kommen Sie in ganzungewohnte Bedingungen für eine Urteilbildung. Es hängt offenbar das meiste davon ab,welchen Glauben Sie dem Gewährsmann schenken können.Nehmen Sie einmal an, Sie wären nicht in eine psychiatrische, sondern in eine historischeVorlesung gegangen und der Vortragende erzählte Ihnen vom Leben und von den KriegstatenAlexanders des Großen. Was für Motive hätten Sie, an die Wahrhaftigkeit seiner Mitteilungenzu glauben? Zunächst scheint die Sachlage noch ungünstiger zu sein als im Falle derPsychoanalyse, denn der Geschichtsprofessor war so wenig Teilnehmer an den KriegszügenAlexanders wie Sie; der Psychoanalytiker berichtet Ihnen doch wenigstens von Dingen, beidenen er selbst eine Rolle gespielt hat. Aber dann kommt die Reihe an das, was den Historikerbeglaubigt. Er kann Sie auf die Berichte von alten Schriftstellern verweisen, die entwederselbst zeitgenössisch waren oder den fraglichen Ereignissen doch näher standen, also auf dieBücher des Diodor, Plutarch, Arrian u. a.; er kann Ihnen Abbildungen der erhaltenen Münzenund Statuen des Königs vorlegen und eine Photographie des pompejanischen Mosaiks derSchlacht bei Issos durch Ihre Reihen gehen lassen. Strenge genommen beweisen alle dieseDokumente doch nur, daß schon frühere Generationen an die Existenz Alexanders und an dieRealität seiner Taten geglaubt haben, und Ihre Kritik dürfte hier von neuem einsetzen. Siewird dann finden, daß nicht alles über Alexander Berichtete glaubwürdig oder in seinenEinzelheiten sicherzustellen ist, aber ich kann doch nicht annehmen, daß Sie denVorlesungssaal als Zweifler an der Realität Alexanders des Großen verlassen werden. IhreEntscheidung wird hauptsächlich durch zwei Erwägungen bestimmt werden, erstens, daß derVortragende kein denkbares Motiv hat, etwas vor Ihnen als real auszugeben, was er nichtselbst dafür hält, und zweitens, daß alle erreichbaren Geschichtsbücher die Ereignisse inungefähr ähnlicher Art darstellen. Wenn Sie dann auf die Prüfung der älteren Quelleneingehen, werden Sie dieselben Momente berücksichtigen, die möglichen Motive derGewährsmänner und die Übereinstimmung der Zeugnisse untereinander. Das Ergebnis derPrüfung wird im Falle Alexanders sicherlich beruhigend sein, wahrscheinlich andersausfallen, wenn es sich um Persönlichkeiten wie Moses oder Nimrod handelt. Welche ZweifelSie aber gegen die Glaubwürdigkeit des psychoanalytischen Berichterstatters erheben können,werden Sie bei späteren Anlässen deutlich genug erkennen.Nun werden Sie ein Recht zu der Frage haben: Wenn es keine objektive Beglaubigung derPsychoanalyse gibt und keine Möglichkeit, sie zu demonstrieren, wie kann man überhauptPsychoanalyse erlernen und sich von der Wahrheit ihrer Behauptungen überzeugen? DiesErlernen ist wirklich nicht leicht, und es haben auch nicht viele Menschen die Psychoanalyseordentlich gelernt, aber es gibt natürlich doch einen gangbaren Weg. Psychoanalyse erlerntman zunächst am eigenen Leib, durch das Studium der eigenen Persönlichkeit. Es ist das nichtganz, was man Selbstbeobachtung heißt, aber man kann es ihr zur Not subsumieren. Es gibteine ganze Reihe von sehr häufigen und allgemein bekannten seelischen Phänomenen, dieman nach einiger Unterweisung in der Technik an sich selbst zu Gegenständen der Analysemachen kann. Dabei holt man sich die gesuchte Überzeugung von der Realität der Vorgänge,5

welche die Psychoanalyse beschreibt, und von der Richtigkeit ihrer Auffassungen. Allerdingssind dem Fortschritte auf diesem Wege bestimmte Grenzen gesetzt. Man kommt viel weiter,wenn man sich selbst von einem kundigen Analytiker analysieren läßt, die Wirkungen derAnalyse am eigenen Ich erlebt und dabei die Gelegenheit benützt, dem anderen die feinereTechnik des Verfahrens abzulauschen. Dieser ausgezeichnete Weg ist natürlich immer nur füreine einzelne Person, niemals für ein ganzes Kolleg auf einmal gangbar.Für eine zweite Schwierigkeit in Ihrem Verhältnis zur Psychoanalyse kann ich nicht mehrdiese, muß ich Sie selbst, meine Hörer, verantwortlich machen, wenigstens insoweit Siebisher medizinische Studien betrieben haben. Ihre Vorbildung hat Ihrer Denktätigkeit einebestimmte Richtung gegeben, die weit von der Psychoanalyse abführt. Sie sind darin geschultworden, die Funktionen des Organismus und ihre Störungen anatomisch zu begründen,chemisch und physikalisch zu erklären und biologisch zu erfassen, aber kein Anteil IhresInteresses ist auf das psychische Leben gelenkt worden, in dem doch die Leistung dieseswunderbar komplizierten Organismus gipfelt. Darum ist Ihnen eine psychologischeDenkweise fremd geblieben, und Sie haben sich gewöhnt, eine solche mißtrauisch zubetrachten, ihr den Charakter der Wissenschaftlichkeit abzusprechen und sie den Laien,Dichtern, Naturphilosophen und Mystikern zu überlassen. Diese Einschränkung ist gewiß einSchaden für Ihre ärztliche Tätigkeit, denn der Kranke wird Ihnen, wie es bei allenmenschlichen Beziehungen Regel ist, zunächst seine seelische Fassade entgegenbringen, undich fürchte, Sie werden zur Strafe genötigt sein, einen Anteil des therapeutischen Einflusses,den Sie anstreben, den von Ihnen so verachteten Laienärzten, Naturheilkünstlern undMystikern zu überlassen.Ich verkenne nicht, welche Entschuldigung man für diesen Mangel Ihrer Vorbildung geltenlassen muß. Es fehlt die philosophische Hilfswissenschaft, welche für Ihre ärztlichenAbsichten dienstbar gemacht werden könnte. Weder die spekulative Philosophie noch diedeskriptive Psychologie oder die an die Sinnesphysiologie anschließende sogenannteexperimentelle Psychologie, wie sie in den Schulen gelehrt werden, sind imstande, Ihnen überdie Beziehung zwischen dem Körperlichen und Seelischen etwas Brauchbares zu sagen undIhnen die Schlüssel zum Verständnis einer möglichen Störung der seelischen Funktionen indie Hand zu geben. Innerhalb der Medizin beschäftigt sich zwar die Psychiatrie damit, diebeobachteten Seelenstörungen zu beschreiben und zu klinischen Krankheitsbildernzusammenzustellen, aber in guten Stunden zweifeln die Psychiater selbst daran, ob ihre reindeskriptiven Aufstellungen den Namen einer Wissenschaft verdienen. Die Symptome, welchediese Krankheitsbilder zusammensetzen, sind nach ihrer Herkunft, ihrem Mechanismus und inihrer gegenseitigen Verknüpfung unerkannt; es entsprechen ihnen entweder keinenachweisbaren Veränderungen des anatomischen Organs der Seele oder solche, aus denen sieeine Aufklärung nicht finden können. Einer therapeutischen Beeinflussung sind dieseSeelenstörungen nur dann zugänglich, wenn sie sich als Nebenwirkungen einer sonstigenorganischen Affektion erkennen lassen.Hier ist die Lücke, welche die Psychoanalyse auszufüllen bestrebt ist. Sie will der Psychiatriedie vermißte psychologische Grundlage geben, sie hofft, den gemeinsamen Bodenaufzudecken, von dem aus das Zusammentreffen körperlicher mit seelischer Störungverständlich wird. Zu diesem Zweck muß sie sich von jeder ihr fremden Voraussetzunganatomischer, chemischer oder physiologischer Natur frei halten, durchaus mit reinpsychologischen Hilfsbegriffen arbeiten, und gerade darum, fürchte ich, wird sie Ihnenzunächst fremdartig erscheinen.6

An der nächsten Schwierigkeit will ich Sie, Ihre Vorbildung oder Einstellung, nichtmitschuldig machen. Mit zweien ihrer Aufstellungen beleidigt die Psychoanalyse die ganzeWelt und zieht sich deren Abneigung zu; die eine davon verstößt gegen ein intellektuelles, dieandere gegen ein ästhetisch-moralisches Vorurteil. Lassen Sie uns nicht zu gering von diesenVorurteilen denken; es sind machtvolle Dinge, Niederschläge von nützlichen, ja notwendigenEntwicklungen der Menschheit. Sie werden durch affektive Kräfte festgehalten, und derKampf gegen sie ist ein schwerer.Die erste dieser unliebsamen Behauptungen der Psychoanalyse besagt, daß die seelischenVorgänge an und für sich unbewußt sind und die bewußten bloß einzelne Akte und Anteiledes ganzen Seelenlebens. Erinnern Sie sich, daß wir im Gegenteile gewöhnt sind, Psychischesund Bewußtes zu identifizieren. Das Bewußtsein gilt uns geradezu als der definierendeCharakter des Psychischen, Psychologie als die Lehre von den Inhalten des Bewußtseins. Ja,so selbstverständlich erscheint uns diese Gleichstellung, daß wir einen Widerspruch gegen sieals offenkundigen Widersinn zu empfinden glauben, und doch kann die Psychoanalyse nichtumhin, diesen Widerspruch zu erheben, sie kann die Identität von Bewußtem und Seelischemnicht annehmen. Ihre Definition des Seelischen lautet, es seien Vorgänge von der Art desFühlens, Denkens, Wollens, und sie muß vertreten, daß es unbewußtes Denken undungewußtes Wollen gibt. Damit hat sie aber von vornherein die Sympathie aller Freundenüchterner Wissenschaftlichkeit verscherzt und sich in den Verdacht einer phantastischenGeheimlehre gebracht, die im Dunkeln bauen, im Trüben fischen möchte. Sie aber, meineHörer, können natürlich noch nicht verstehen, mit welchem Recht ich einen Satz von soabstrakter Natur wie: »Das Seelische ist das Bewußte« für ein Vorurteil ausgeben kann,können auch nicht erraten, welche Entwicklung zur Verleugnung des Unbewußten geführthabe

auf die Schüler, durch Worte reißt der Redner die Versammlung der Zuhörer mit sich fort und bestimmt ihre Urteile und Entscheidungen. Worte rufen Affekte hervor und sind das allgemeine Mittel zur Beeinflussung der Menschen untereinander. Wir werden also die Verwendung der Worte in der Psychotherapie nicht geringschätzen und werden zufrieden

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